Etappe 10 Nächstes Ziel Greifswald
- PH16

- 28. Dez. 2020
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 3. Feb. 2021

(Sonnenuntergang im Hafen von Greifswald)
Sonntag der 23.8.2020. Die Abenteuer Usedom und Greifswalder Oie sind also leider schon wieder Geschichte. Nun liegt erstmal wieder Festland vor mir. Heute geht es nach Greifswald und tags darauf weiter nach Stralsund. Ursprünglich war mein Plan, von Greifswald weiter zu laufen bis nach Stahlbrode, um dort auf einem Campingplatz in einem Zelt zu nächtigen. Am nächsten Morgen sollte es dann mit der Fähre, über den Strelasund, Richtung Rügen gehen. Aber ohne Zelt, sollte dieser Plan nun schwer umzusetzen sein! Plan B war nun also Stralsund, meine Lieblingsstadt Mecklenburg-Vorpommerns. Problem war nur, dass Greifswald und Stralsund nochmal 50km voneinander entfernt liegen. Zu viel Strecke, für eine Tagesetappe zu Fuß. Schaffen muss ich sie trotzdem an einem Tag, da der Rest der Strecke, ab der Stadt Bergen auf Rügen, wieder streng durchgeplant und durchgetaktet ist. Ich nehme mir vor, diese Entscheidung im Laufe des Tages zu treffen und mache mich erstmal auf den Weg, denn heute kann man wieder guten Gewissens, von einer Monsteretappe sprechen und die gilt es erstmal zu schaffen.
Beim Bezahlen an der Rezeption des Campingplatzes, werde ich wieder einmal gefragt, wo es als nächstes hin geht. Als die Antwort Greifswald lautet, kriege ich das unmoralische Angebot, mitgenommen zu werden in einem Automobil. Eine halbe Stunde würde das dauern und es ist verführerisch, aber natürlich lehne ich ab. Während ich den Campingplatz verlasse, fährt er winkend an mir vorbei. Mach's gut leichter Weg, und willkommen Abenteuer und Anstrengung! Ich verlasse Freest in Richtung Osten. Es geht weiter durch einen dichten Wald, zu meinem ersten Highlight des Tages, dem ehemaligen Atomkraftwerk Lubmin. Vom Wasser aus schon groß, baut sich nun zu meiner rechten, nach einem schon bemerkenswert großen Umspannwerk, das riesige alte Atomkraftwerk auf.

(AKW Lubmin)
Ich persönlich, gehe mit gemischten Gefühlen an diesem Bauwerk vorbei. Auf der einen Seite, herrscht bei mir ein gewaltiges Interesse an diesem Gebäude und seiner ehemaligen Funktion. Auf der anderen Seite soll der Grundaufbau der Reaktoren, sehr an den der Reaktoren in Tschernobyl angelehnt sein, jedenfalls nachdem was ich gelesen und gehört habe. Und wie die Geschichte endete wissen wir alle. Große Stücke des Hauptteils des Kraftwerks befinden sich bereits im Abriss und somit ist es das einzige Atomkraftwerk weltweit, das zurück gebaut wird! Komisches Gefühl an einem halbgeöffneten AKW vorbei zu laufen. Aber die werden schon wissen was sie tun, immerhin sind gefühlte 90% des Geländes, mittlerweile von Fremdfirmen angemietet.
Sogar Führungen durch ehemalige Reaktoren werden hier angeboten.
Vom Wasser aus, sieht man ein hellblaues Gebäude, bei dem es sich um ein Zwischenlager handelt. Zu wissen das dort radioaktives Material nur wenige hundert Meter von dir entfernt liegt, ist schon irgendwie beklemmend. Ich für meinen Teil bin froh, als ich das Gelände bald nicht mehr beim Umdrehen sehe. Beeindruckend ist es dennoch alle mal!

(Seebad Lubmin)
Nach einem weiteren kleinen Waldstück, bin ich dann bereits in der Stadt Lubmin angekommen. Ich mache mich auf in Richtung Strand, um ein paar Eindrücke zu bekommen und zu frühstücken. Ein schöner Ort, mit einem großen Strand und tollem Blick auf den Greifswalder-Bodden und Rügen. Da kommt schon Ostseefeeling auf, aber es ist halt nicht die Ostsee. Also weiter.
Es geht Richtung Süden in Richtung L262, um weiter in Richtung Osten zu gelangen. Kurz nachdem ich Lubmin verlasse und parallel zur Landstraße gegen den mittlerweile recht starken Wind ankämpfe, höre ich plötzlich wildes Gehupe. Olaf (der Kumpel mit dem ich in Wolgast unterwegs war) und seine Frau Claudia steigen aus, und können den Anblick der sich Ihnen auftut, ebenso wenig glauben wie ich! Wir fallen uns ungläubig in die Arme. Was für ein Zufall, schon wieder! Sie bleiben die ganze Woche in Lubmin zum Urlaub machen. Es tut gut zu wissen, das sie im Notfall nicht weit entfernt sind, falls bei mir etwas schief läuft! Leider haben wir nur kurz Zeit, um uns zu unterhalten und verabschieden uns genauso herzlich, wie wir uns begrüßt haben. Natürlich nicht ohne ein paar Beweisfotos zusammen zu machen.

Anschließend folge ich der Landstraße weiter bis zum Dorf Vierow, von dem aus es dann weiter geht nach Gahlkow. Ich kann rechts von mir fast durchgehend, auf den Bodden und weiter nach Rügen schauen. Ich befinde mich zu diesem Zeitpunkt auf dem Ostsee-Radweg, was erklärt, woher die ganzen Fahrradfahrer auf einmal herkommen. Kein Wunder, denn der Weg ist wirklich schön. Für mich geht es nun weiter in Richtung Loissin und dann, nach einer kurzen Pause, weiter südlich nach Neuendorf. Durch den Wind ist es relativ frisch, da es zusätzlich immer bewölkter wird. Zu diesem Zeitpunkt ist es zu kalt für ein Shirt aber auch zu warm für einen Pullover. Ist aber natürlich nicht mal annähernd so ein Problem, wie die wiederkehrenden Schmerzen an meinem rechten Fuß durch meine Blasen. Dieses Problem nervt wirklich sehr, zumal die Blase am Hacken immer weiter zum Sprunggelenk hoch wandert.
In Neuendorf habe ich dann zwei Optionen, südlich wieder zur L262 und am Rande einer vielbefahrenen Landstraße ohne Fußweg zu laufen, oder mich über einen Rinderhof zu schleichen, an mehreren Feldern vorbei zu wandern, um mich dann über einen zweiten privaten Rinderhof der gleichen Firma zu mogeln. Ich entscheide mich für die Kuh-Variante 2. Über den ersten Hof bin ich trotz eines kleinen Elektrozauns, schnell hinaus und laufe danach, an schönen Weiden und Feldern vorbei, über eine kleine Brücke über einem Graben, auf der mir sogar ein Eisvogel begegnet. Bald darauf stehe ich dann vor Rinderhof Nummer 2.
Nach einem schnellen Blick nach links und rechts ohne jemanden zu sehen, geht es auch über diesen Hof. Am Ende stehe ich vor einem brüchigen Holztor, das ich überwinden muss, um auf die L262 und den dort wieder vorhandenen Fußweg zu kommen. Ich klettere rüber und uuupsii, die unterste Holzleiste bricht. Knacks! ...Hat keiner gesehen. Klassische Situationskomik, ich kann mir einen Lacher nicht verkneifen. Bitte denkt nicht böse von mir, aber das Tor hatte ohnehin seine besten Zeiten hinter sich und außerdem wurde ja die Funktion des Tores damit nicht beeinträchtigt, rede ich mir jedenfalls selber ein. Ich gehe danach, in den nicht weit entfernten Laden des Hofes und hole mir einen Bioeisbecher für 3,50€, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Er schmeckt toll, doch ich kann euch leider den Namen des Ladens und des Hofes, aus Eigenschutz nicht verraten. Aber ihr könnt ihn in meiner Routenübersicht herauslesen.

(Kühe.)
Kommen wir wieder zurück zur Etappe. Es geht weiter Richtung Osten entlang der dänischen Wiek, am Örtchen Friedrichshagen vorbei, immer weiter bis Eldena, einem Vorort Greifwalds. Ich bin genauso verblüfft wie Ihr, dass Greifswald tatsächlich Vororte hat! Zu dieser Phase muss ich immer häufiger Pausen machen, denn ich habe bereits über 30km in den Beinen. Ohne den zusätzlichen Ballast des Zeltes und der anderen nicht unbedingt notwendigen Dinge, bleibt aber bis auf die Anstrengungen, alles im grünen Bereich. Nach dem Ortseingang Greifswalds, muss ich dann feststellen, dass die Stadt gar nicht so klein ist wie erwartet. 45 Minuten brauche ich nochmal vom Ortseingang bis zu meiner "Hanse Haus Pension". Nach über 35km komme ich dort auch vollkommen knülle an.
Ich brauche eine Weile um mich zu erholen, bevor ich mich am frühen Abend aufmache, um die Altstadt zu erkunden. Während des wieder etwa 2,5km langen Weges in die Innenstadt, wächst im Rahmen eines Telefongespräches mit meiner Mutter die Idee, die 50km bis Stralsund mit dem Zug zu fahren, um mal einen Tag ruhig zu machen und die Stadt Stralsund zu genießen. Ich rechne mit ihr aus, dass ich zu diesem Zeitpunkt, bereits über 300km seit des Tourbeginns in Ahrensfelde, zurückgelegt habe. Ich mache die Entscheidung auch davon abhängig, ob ich im Laufe des Abends noch eine Kneipe finde, in der ich das Championsleague-Finale zwischen Bayern und Paris gucken kann. Denn wenn Championsleague-Finale ist, muss ich Bier trinken. Wenn dann Bayern das Spiel auch noch gewinnt, muss ich noch mehr Bier trinken und bin demnach den nächsten Tag entsprechend gehandicapt. Denn einen solchen Triumph, erlebt man ja wirklich nicht oft!
Nach dem Abendessen, beginnt also eine Mischung aus Stadt erkunden und Kneipe suchen, mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Die Stadt an sich, ist wirklich schick und für einen Wochenendtrip oder ähnlichem, wirklich empfehlenswert. Schöne Altstadt, nostalgischer Stadthafen mit vielen alten Holzsegelschiffen und anderen Oldtimern, umgeben von vielen Restaurants. Das ist alles schön, wiederum ist Greifswald bekannt als Studentenstadt, und das fällt mir jetzt auf die Füße. Alle Kneipen, Bars und andere Bierlokale, haben alle am Sonntags Ruhetag... ist wahrscheinlich kein Student da, der sich in der Zeit hinter den Tresen stellt, weil alle übers Wochenende in der Heimat, bei ihren Freunden und Familien sind. Wirklich jede Örtlichkeit, die einen Fernseher samt Fußballübertragung hätte haben können, ist geschlossen.
Ich finde mich also mit meinen Schicksal ab und lasse meinem Unmut in der Whatsapp-Gruppe meiner besten Freunde, freien Lauf. Es dauert keine 2 Minuten, da kriege ich eine Adresse, inklusive dem Hinweis, dass dort das Spiel übertragen wird, von meinem Freund Oliver. Ein sehr findiger junger Mann, der mir in Sachen Internetbenutzung, 87.000 Schritte voraus ist! Ich bedanke mich hiermit nochmal für diesen Tipp, denn ich hätte sonst das Spiel, alleine in meinem Zimmer, zusammen mit 2 Bier, aus einem Dönerladen geschaut. So aber, mache ich mich auf, zu einer Bar Namens "Mitt'n drin".
Dort erwarten mich eine große Videoleinwand und frisch gezapftes Bier. Meine Entscheidung steht also fest... morgen wird Zug gefahren!

(Bar "Mitt'n drin")
Noch in der Bar, buche ich meine Zugfahrt von Greifswald nach Stralsund. Die Tage bis jetzt und die Tage nachdem ich in Stralsund war, werden noch anstrengend genug. So habe ich auch kaum Probleme, diese Problematik mit meinem Gewissen zu vereinbaren. Das Spiel endet mit viel Bier und einem 1:0 Sieg für Bayern, dem Championsleague-Sieger 2020! Der Barkeeper gibt auch noch mehrere Runden aus, denn er ist selber Bayernfan und um ca. 1:00 Uhr Nachts, geht es zurück in Richtung Pension. Zwischendurch werde ich noch von einer Gruppe Freunden angerufen, die sich über den Stand meiner Wanderung informieren wollen. Während dieser Zeit, laufe ich nach Gefühl in die Richtung, von der ich annehme, das sich dort meine Pension befindet. Aber mein Handy-Navi und die 5% Akku-Anzeige, sagen etwas anderes.
Mein Handy inklusive Standortbestimmung, lassen mich zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal auf meiner Tour im Stich (hat wirklich nichts mit dem Bier zu tun, das ich bereits verzehrt hatte). Ständig zeigt es mir wechselnde Standorte und verschiedene Routen an. Ich laufe wie im Film, an ein paar Häusergruppen, mehrere Male vorbei. Irgendwann, ist das mit 2% Akku aber auch nicht mehr witzig. Ich habe keinen Plan wo ich bin, auf der Straße ist kein einziger Mensch, nirgends ist ein Taxi zu sehen und sobald mein Handy aus ist, vergesse ich sofort die Adresse, aufgrund meines Alkoholpegels. Wieder mal, bleibt die beste Option die ich habe, einfach schneller zu gehen. Und nachdem sich mein Handy endlich eingekriegt hat, jogge ich den letzten Teil der Strecke bis zu meiner Unterkunft und komme tatsächlich mit 1% Akku auf meinem Handy an! Wenn es einen Schutzpatron für betrunkene Wanderer gibt, dann hat dieser coole Typ an diesem Abend alles gegeben! 44km Tagesstrecke zeigt mir mein Handy an, als ich zurück in meinem Zimmer bin. Endlich im Bett, stelle ich mir den Wecker auf 10:00 Uhr, denn mein Zug fährt erst 12:24 Uhr. Ich freue mich sehr auf meinen ersten und einzigen Tag mit etwas Entspannung. Aber selbst am Ende des nächsten Tages, sollte ich wieder 22km unterwegs gewesen sein. Wie dem auch sei, Bayern ist Championsleague-Sieger und ich bin hundemüde.

(Greifwald von oben)




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