Was bleibt?!
- PH16

- 23. Dez. 2020
- 8 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 29. Jan. 2021

(Das Wahrzeichen des Nationalparks Jasmund, der Königsstuhl. Auf dem Rückweg war das Wetter viel besser, als noch ein paar Tage zuvor)
Sonntag der 30.8.2020. Ich bin wieder in Sassnitz, 17 Tage nachdem meine Reise begann. In 2 Stunden geht es wieder mit dem Zug, über Stralsund, zurück nach Berlin-Gesundbrunnen. Ich sitze am Meer, das Wetter ist im Vergleich zu den letzten Tagen wirklich hervorragend. Und so genieße ich, mit meinem Garnelenspieß, auf einem großen Stein im Sand sitzend, die letzten Eindrücke der Ostsee, während eine Möwe 2 Meter entfernt versucht, mir mein Essen streitig zu machen. Immerhin besser als diese fliegenden Ratten namens Tauben, die mich nachher wieder in Berlin erwarten.
Oben auf der Promenade angekommen, sehe ich noch ein letztes Mal auf die Ostsee und die Greifswalder Oie, mit der ich mir wirklich einen lang gehegten Traum erfüllen konnte. Schweren Herzens, trotte ich mit meinen Wanderschuhen um den Hals gebunden, weiter in Richtung Bahnhof. Klar Freue ich mich wieder auf meine Heimat, meine Familie und auf meine Freunde, aber im Moment überwiegt die Trauer, dass mein Abenteuer und der Ostsee-Urlaub nun beendet sind. Im Bahnhof angekommen, sehe ich mehrere Menschen, die ähnlich wie ich, mit großen Rucksäcken ausgestattet sind. Wir spenden uns gegenseitig ein anerkennendes Nicken, während jeder für sich, auf den Zug wartet.
Als der Zug los fährt, passiert er auf seinem Weg nach Stralsund, viele Strecken und Abschnitte, die ich selber auf meinem Route hinter mir gelassen hatte. Man versetzt sich automatisch zurück in die Situation. Man spürt wieder diese Emotionen, die Gedanken und das Erlebte. Das ist es was bleibt! Sofort bin ich wieder in Mukran, am Strand und stehe zum ersten Mal am Ostseestrand. Sofort erinnere ich mich wieder, wie ich mit meinem Cape durch den Regen von Lietzow stapfe und von allen Autofahrern angestarrt werde, wobei alle Spaß hatten, sie und ich. Es sind die sonstigen Kleinigkeiten, die besonders in Erinnerung bleiben, denn auf dieser Reise waren sie etwas Besonderes.
Wieder in Stralsund angekommen heißt es dann umsteigen und einen letzten Blick auf die tolle Altstadt, die Rügenbrücke und die Werft werfen. Wenig später rollt auch schon der Zug ein, der mich zurück nach Berlin bringt. Ich schaffe es, mir einen Platz am Fenster zu sichern, verstaue meinen riesigen Rucksack auf dem Platz neben mir und schaue sehnsüchtig aus dem Fenster, als der Zug langsam anfängt, aus dem Bahnhof zu rollen. Der erste größere Halt ist Greifswald. Da war doch was. Diese vollkommen verlassene Studentenstadt, in der man am Sonntagabend, verzweifelt nach einer Bar sucht, die das Championsleague-Finale übertragt. Glücklicherweise mit Erfolg.
Weiter geht es über Züssow, als ich an das nicht weit entfernte Wolgast denken muss. Während meiner Reise, hat man auch die einfachen Dinge wieder mehr zu schätzen gelernt. So war zum Beispiel das Duschen, das man beinahe täglich zu Hause ganz selbstverständlich macht, nach einer Wanderetappe, das absolutes Highlight! Inklusive Gänsehaut, stöhnen und allem drum und dran! Das ging durch Mark und Bein! Und dieses Gefühl erst, wenn du Abends in ein warmes, kuschliges Bett fallen kannst, während deine Oberschenkel und Waden zu explodieren drohen, ist absolut Gold wert. Gerade in den Nächten auf einer Isomatte, in einem kleinen Zelt, mit schmerzenden Füßen und wirklich niedrigen Temperaturen, weiß man erst, dass der Luxus der einen täglich zu Hause erwartet, alles andere als selbstverständlich ist.
Nach Züssow hält der Zug in Anklam, bevor er dann endlich meine ungefähre Route verlässt, um weiter Richtung Osten zu fahren. Ich schweife nun auch in Gedanken, ein wenig ab und denke an die Phasen meiner Tour, an denen ich gerade körperlich an meine Grenzen gestoßen war. Im Vorfeld, während meiner Planung, hatte ich höchstens daran gedacht, dass meine Muskeln irgendwann mal schlapp machen könnten. Das mir allerdings die äußeren Umstände so viel Probleme bereiten, wie zum Beispiel die gelaufenen wunden Stellen, die riesigen Blasen am komischer Weise, nur rechten Fuß und vor allem der zu schwere Inhalt meines Rucksackes, hätte ich vorher nicht gedacht. Aber das sind Erfahrungen, die ich für die Zukunft mitnehme. Es war auf jeden Fall die richtige Entscheidung, überflüssige und nicht komplett notwendige Dinge in Burg Stargard mit der Post zurückzusenden. Auch wenn die Kosten dafür einfach mal über 30€ betrugen!
Der Rest der Wanderung war besonders wegen des minderen Kraftaufwandes, deutlich angenehmer. Auch bei der Problematik mit den Blasen fällt mir ein, wie ich mir zum ersten Mal Blasenpflaster und Tape in Templin gekauft habe, um mich unter der hölzernen Stadtbrücke damit komplett vollzukleistern. Ich will nicht wissen, wie komisch das ausgesehen haben muss. Auch das sind Gegebenheiten, auf die ich das nächste Mal besser vorbereitet sein werde. Vor allem auch beim Schutz vor Regen. Vielleicht besorge ich mir zukünftig, ein schickeres Oma-Regencape in rot-weiß, damit ich das nächste Mal wenigstens, stylisch schick, hochgradig bekloppt aussehe. Ansonsten war ich allerdings echt top vorbereitet, besonders das Klopapier, wurde seiner Aufgabe mehr als gerecht.
Der Zug passiert nun Ferdinandshof und anschließend Pasewalk. Gleich bin ich also schon wieder in Brandenburg und explizit in der Uckermark angelangt. Nun ist auch Feldberg und seine Seenlandschaft schon so weit entfernt, das ich locker 3 Tage Richtung Westen laufen müsste, um den Ort wieder zu erreichen. Dieser Campingplatz in Feldberg und der Abend den ich dort verbrachte, sind auch aus meinem Kopf nicht mehr wegzudenken. Zelt direkt am Seeufer aufgebaut, darin Stullen geschmiert und später ab ins gemeinschaftliche Duschhaus. Alles eine andere, aber faszinierende Welt, in die ich da zu gerne mal eingetaucht bin! Absolutes Highlight an diesem Abend war aber wirklich der Sonnenuntergang auf einem der vielen Stege, dazu Musik in den Ohren (Halsey natürlich) und ein alkoholfreies Clausthaler dazu trinkend. Anschließend war Sternschnuppen zählen angesagt, oberhalb dieses traumhaften Sees. Und da waren wirklich große Teile bei. Für Abende und Moment wie diese, habe ich diese Reise angetreten. Auch sie sind es die für immer bleiben!
Auch die vielen unbekannten Orte die ich erforschen konnte, die Natur die ich erleben durfte, werden mir für immer bleiben. Allein schon, dass man durch so unberührte Wälder gelaufen ist, dass dort Wolfsspuren zu finden waren, ist dafür Beweis genug. Leider waren die Wälder mitunter auch so unbekannt, dass ich in einem Waldstück vor Burg Stargart, dann meinen persönlichen Supergau erlebte, und nach einem Kampf durch engstes Gestrüpp, irgendwann vor einem tiefen, mit Wasser gefüllten Graben stehe, bei dem mir nur der Weg zurück übrig blieb. Durch schlammigsten Waldboden, meterhohe Brennnesseln und allem möglichen anderen Schilfzeugs bahnend, kommst du dann dreckig, nass, blutend und juckend, auf einem Feld an und willst einfach nur noch nach Hause. Auch das war Teil des Abenteuers und auch diese negativen Erlebnisse, die man allerdings gemeistert hat, sind Dinge die bleiben. Und sie sind es auch, die dann die tollen, unverhofften Momente, umso schöner und intensiver werden lassen.
Ich werde auch niemals vergessen, wie unfassbar tief der Tornado-Düsenjet, auf meinem Weg nach Anklam über mich hinweg flog und wie ich Sekunden später meinen Vater auf Arbeit anrufen musste, um Ihm davon zu erzählen. Ich kriege schon wieder Gänsehaut, nur wenn ich darüber schreibe.
Mein Zug ist mittlerweile in Prenzlau angekommen. Willkommen zurück, im beschaulichen Brandenburg! Das Wetter wird nun, desto weiter wir nach Süden fahren, immer schlechter. Dicke Regenwolken ziehen auf und es ist bald so dunkel, als wäre es Dezember und 16:30 Uhr. Es ist fast so, als würde sich das Wetter meiner traurigen, trüben Stimmung anpassen, also mache ich mir wieder positivere Gedanken, während wir weiter die sanften Hügel der Uckermark überqueren.
Das Krasse ist, dass ich mich an jedes noch so kleine Detail meines Weges erinnern kann. Jedes Dorf, jeder See, jedes Waldstück, hat sich in meine Gedächtnis gebrannt, besonders auf solchen Wegen, wie zwischen Joachimsthal und Templin, an denen ich stundenlang, keinen Menschen, keine Straße, kein Auto gesehen habe, Nur Wald, Bäume, Lichtungen. Ich kriege es sogar noch peinlich genau hin, auf welchen Passagen des Waldes mal so etwas Außergewöhnliches anzutreffen war, wie eine alte, vollkommen vergessene Pflastersteinstraße. Wenn man den ganzen Tag nichts anderes als Bäume sieht, sind das dann die Dinge die auffallen, und auch sie bleiben im Kopf. Ich werde auch nicht vergessen, wie schön Brandenburg ist. Ich bin eh ein Verfechter dieses Bundeslandes, aber selbst mir war die Schönheit einiger erlebter Landstriche nicht bewusst. Die Wanderung vom Oder-Havel-Kanal aus, entlang des Werbellin-Kanals, bis hin zum Werbellinsee, war definitiv nicht das letzte Mal, das ich dort lang gewandert bin. Genauso wird der Werbellinsee, mit seinem klaren, angenehm kühlen Wasser, im nächsten Sommer, den ein oder anderen Tag mein Reiseziel werden! Dann allerdings mit Automobil versteht sich.
Der Zug bahnt sich derweil seinen Weg an kleineren Dörfern, Seen und der Blumberger Mühle vorbei, nach Angermünde. Eine für mich bestens bekannte Stadt, auf dem Weg nach Berlin. Wenig später bin ich dann bereits in Eberswalde. Von hier aus, ist es nicht mal mehr eine Stunde bis Berlin und das Wetter, hat sich nun in starken Dauerregen verwandelt.
Kurz vor Biesenthal, kann ich dann aber ein Lächeln nicht unterdrücken, denn dies war der Ort meines ersten Etappenziels. Das erste Mal die Arme in die Luft recken, beim Erreichen des Ortseingangsschildes. Das erste Mal stolz auf das Erreichte sein, beim Herabfallen ins Bett. Das erste Mal auch Ungewissheit verspüren, nichtsahnend was noch alles auf mich zukommt. Ich bin in Sachen wandern, bis auf lange Tagestouren, noch sehr unerfahren, aber jetzt zu Wissen, alles gepackt zu haben, ist ein Wahnsinnsgefühl des Stolzes und des Selbstvertrauens. Mein Mut wurde belohnt! Ich empfehle jedem von Euch, der irgendeine Art von Wanderung vor hat, seien es 50km oder 1000km... Macht sie! Es ist schwierig zu erklären, was bleibt, was so eine Reise mit euch macht oder was sie euch bringt. Findet es heraus und geht euren Weg. Ihr werdet Euch besser kennenlernen, besser einschätzen können, was für euch wichtig ist und holt euch eure eigenen einzigartigen Erinnerungen.
Ich sehe sehr oft, die alte Dame in dem Stuhl vor Ihrem Haus sitzend vor mir, auf meinem Weg nach Neubrandenburg. Wie Sie dort vollkommen friedlich auf den See blickend, den Tag genießt, sich freundlich mit mir unterhält, als würden wir uns seit meiner Kindheit kennen, mir mein Wasser auffüllt und mir Eis mitgibt, verbunden mit den besten Wünschen, für meine weitere Tour und dass ich gut ankommen solle, wo auch immer ich hin will. DAS, ist die Erinnerung die mir am meisten im Kopf geblieben ist! Sie allein war es schon wert, dieses Abenteuer anzutreten und ich hoffe, ich werde die alte Lady eines Tages nochmal wiedersehen!
Es ist ein unfassbar komisches Gefühl, wenn du die Strecke, für die du 14 Tage zu Fuß gebraucht hast, unter größten Anstrengungen, innerhalb von 4 Stunden mit dem Zug zurücklegst. Fast schon so, als wäre dieses Wahnsinnsabenteuer nur ein Traum gewesen.
Als ich in Berlin aussteige und mit meinen sieben Sachen über den Bahnhof laufe, wartet mein Kumpel Stefan H. bereits auf mich. Das war es nun also schon wieder, 17 Tage Urlaub vorbei.
40 Minuten fahren wir mit seinem Auto bis zu mir. Auf die Frage wie es denn war, finde ich auf die Schnelle, keine passende Antwort.
Krass war es! Intensiv! Wunderschön! Und mal was ganz Anderes. Ich glaube so richtig beschreiben, konnte ich es erst jetzt, hier, in schriftlicher Form.
Ich danke Euch vielmals, für das Lesen meines Blogs!
Aber noch mehr danke ich ich euch fürs Helfen aus der Ferne während der Wanderung, fürs Probleme anhören, fürs Aufbauen und Anfeuern und fürs einfach da sein!
Ohne den Rückhalt meiner Freunde und Familie, wäre das Ding vielleicht anders ausgegangen!
Hoffentlich hattet Ihr Spaß und ich konnte euch ein paar meiner Eindrücke mitgeben.
Passt auf euch und eure Liebsten auf, bleibt gesund.
Liebe Grüße Paul H.





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